Tag der Heimat 2021 in Wetzlar
Eine unter Corona-Bedingungen sehr gut gefüllte Stadthalle Wetzlar erlebte einen wie immer vom Ortsverband und vom Kreisverband Wetzlar des Bundes der Vertriebenen (BdV) gemeinsam veranstalteten und von der Kapelle "Egerländer Maderln" musikalisch nicht nur umrahmten, sondern aktiv mitgestalteten "Tag der Heimat 2021" unter dem programmatischen Motto "Vertreibungen und Deportation ächten - Völkerverständigung fördern". Manfred Hüber (Leun), stellvertretender BdV-Landesvorsitzender Hessen, BdV-Kreisverbandsvorsitzender und Kreisobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) Wetzlar, begrüßte neben Mitgliedern der Landsmannschaften und dem Festredner MdL Andreas Hofmeister auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der lokalen und regionalen Politik aus den Reihen von SPD und CDU bis hin zum langjährigen Landes- und Bundesparlamentarier und Vorsitzenden des CDU-Kreisverbandes Lahn-Dill, Hans-Jürgen Irmer.
Hüber wies im Blick auf das Veranstaltungsmotto darauf hin, dass vor 80 Jahren die Russlanddeutschen innerhalb der Sowjetunion deportiert und vor 75 Jahren die Deutschen aus den Ostgebieten, darunter, wie er selbst, die meisten Sudetendeutschen, aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Bis heute ist laut Hüber die Arbeit des BdV und der verschiedenen Landsmannschaften deshalb sowohl für die Betroffenen und ihre Nachkommen wie auch "für das historische Gedächtnis unseres Landes" wichtig. Dazu gehöre auch der Einsatz für die heutigen deutschen Minderheiten in den Vertreibungsgebieten und die Suche nach einem Ausgleich zwischen den deutschen Vertriebenen und den Völkern Mittel- und Osteuropas. "Ziel muss es sein, zur Versöhnung zu kommen", so Hüber, der es als sehr erfreulich bezeichnete, dass sich viele junge Menschen dieser Völker - bis hin zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an tschechischen Universitäten einschließlich der dortigen Akademie der Wissenschaft - mit dem Problem der Vertreibung befassen. Leider sei das hierzulande in dieser Weise und Intensität nicht der Fall.
"Die Geschichte von Flucht und Vertreibung ist keine Geschichte der Vergangenheit, sie ist aktueller denn je - und die Charta der Heimatvertriebenen ist auch mehr als sieben Jahrzehnte nach ihrer Proklamation visionär", machte der CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Hofmeister (Limburg), Vorsitzender des Unterausschusses des Hessischen Landtags für Heimatvertriebene, Aussiedler, Flüchtlinge und Wiedergutmachung, zu Beginn seines Referates deutlich. Der Verlust der Heimat, die Vertreibung und Entrechtung gehört auch zu seiner Geschichte seiner Familie, in der das Erlebte bis heute im Bewusstsein gehalten wird. "Ich selbst bekenne mich dazu", so Hofmeister, dessen Mutter Ende April 1945 im Alter von nur vier Tagen gemeinsam mit deren Mutter und vier weiteren Geschwistern innerhalb einer halben Stunde Haus und Hof in einem kleinen Ort im Böhmerwald gen Westen verlassen mussten.
Aus der Überzeugung heraus, dass es auch heute noch von großer Wichtigkeit ist, für die Anliegen der Heimatvertriebenen einzutreten, engagiert sich Hofmeister - "Ich zähle mich selbst zur Bekenntnisgeneration" - auf diesem Themenfeld. Das "Im-Bewusstsein-Halten" geschehe aus tiefer Überzeugung und habe den Sinn und den Zweck, dafür einzustehen, "dass sich solche schrecklichen Untaten wie Terror, Krieg und Vertreibung sowie ethnische Säuberungen in Deutschland, Europa und darüber hinaus nie mehr wiederholen dürfen".
Die Heimatvertriebenen, so Hofmeister, hatten alles verloren und kamen in ein zerstörtes und aus der Völkergemeinschaft ausgestoßenes Nachkriegsdeutschland - und wurden hier großenteils nicht mit offenen Armen empfangen. Überall herrschte Mangel. Und das Wenige musste nun auch noch mit Millionen geteilt werden, die aus dem Osten kamen. Ablehnung war die nahezu natürlich Folge. Es dauerte, bis die Heimatvertriebenen ihren Platz in der neuen Heimat gefunden hatten. Dann aber trugen sie ihren wertvollen und unverzichtbaren Teil am Aufbau des Landes bei, wurden zu einem geachteten Teil der Gesellschaft. Und in der hessischen Politik haben die Heimatvertriebenen und Aussiedler ihren festen Platz.
Geradezu visionär wurde vor 71 Jahren in der Charta der Heimatvertriebenen formuliert: "Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem Völker ohne Furcht und Zwang leben können." Und diesem europäischen Gedanken fühlen sich die Heimatvertriebenen und ihre Nachkommen bis heute verpflichtet. Die Zeit bringe es mit sich, dass die Erlebnisgeneration schwindet. Zudem gebe es Kräfte in der Gesellschaft, die die Arbeit des BdV und der Landsmannschaften als überholt ansehen. Dem widerspricht Hofmeister in aller Deutlichkeit: "Die Arbeit des Bundes der Vertriebenen ist gerade auch in der heutigen, weltweit immer unruhiger werdenden Zeit von besonderer Bedeutung - als Mahner, als Brückenbauer, ja als Friedensbotschafter." Es gelte, das Leitwort des BdV "Vertreibungen und Deportation ächten - Völkerverständigung fördern" über das Jahr 2021 hinaus weiter mit Leben zu füllen, dem gesellschaftlichen Desinteresse entgegenzuwirken sowie Kultur und Geschichte des Landes "würdig hervorzuheben".
In den Grußworten manifestierten die Redner ihre Übereinstimmung mit den Anliegen der Heimatvertriebenen. MdB Hans-Jürgen Irmer nannte das Motto "zeitlos". Er unterstütze die Heimatvertriebenen in ihrer Aufgabe und dem Bemühen, die Erinnerung an das Geschehene, an Heimat, Herkunft und Kultur wachzuhalten, um es nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Da die Nachgeborenen die persönliche Betroffenheit der Erlebnisgeneration nicht ermessen könnten, sei es wichtig, die Geschichte der Heimatvertriebenen auch in den Schulen zu vermitteln: "Wer Geschichte nicht kennt, kann auch die Gegenwart nicht richtig einordnen."
Der Wetzlarer Stadtrat Karl Heinz Kräuter bedauert ebenfalls, dass junge Menschen "zu wenig Zugang" zum Thema Flucht und Vertreibung haben und regte an, zum nächsten "Tag der Heimat" eine Schulklasse zur Teilnahme einzuladen. "Geben Sie Ihre Geschichte weiter, denn nur Sie können das authentisch tun.
Auch darf die Aufbauarbeit der Heimatvertriebenen im Westen Deutschlands, ihrer neuen Heimat, nicht verschwiegen werden", ermunterte Johannes Volkmann, erst 24 Jahre junger Vorsitzender des Kreistages Lahn-Dill, Manfred Hüber und seine Mitstreiter in BdV und Landsmannschaften. Archivarbeit sei wichtige Quelle für die Erinnerungskultur - und Inspiration für die Gegenwart.
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