2022: Vertriebene begehen „Tag der Heimat“ in Wetzlar
Mit einem „Tag der Heimat“, der bundesweit regional begangen wird, haben die im Raum Mittelhessen lebenden Mitglieder des Bundes der Vertriebenen (BdV) an das Schicksal von 14 Millionen Menschen aus den Ostgebieten erinnert. Festredner war der ehemalige Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes im Kabinett von Angela Merkel, Helge Braun (Gießen). Seit Dezember 2021 ist der CDU-Politiker Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag. Braun hob die Rolle der Vertriebenen als Brückenbauer in Europa hervor. Dabei spielte er auf die Charta der Vertriebenen von 1950 an, in der die deutschen Heimatvertriebenen zum Verzicht auf Rache und Gewalt trotz des eigenen gerade erlittenen Unrechts aufrufen. Zudem geben sie darin ein klares Bekenntnis zur Schaffung eines einigen Europas, zur Verständigung zwischen den Staaten und den Völkern ab.
Flucht und Vertreibung hätten eine massenhafte Verschiebung der Bevölkerung im 20. Jahrhundert gebracht. Insgesamt 60 Millionen Menschen hatten ihre Heimat verloren. Auch seine Großeltern seien aus dem Sudetenland vertrieben worden. Zu ihrem 50. Hochzeitstag waren sie mit weiteren Verwandten in der alten Heimat. „Doch an ihrem Elternhaus wurden von den heutigen Bewohnern die Vorhänge zu gezogen“, schilderte Braun. Noch immer sei Versöhnung eine aktuelle Aufgabe. Es gelte für Kinder und Enkelkinder das Anliegen fortzuführen. Dazu müsse die Kultur der alten Heimat bewahrt werden. „Unrecht muss als Unrecht anerkannt werden“, sagte Braun. Die Nachteile aus der Vertreibung dürften nicht fortgeschrieben werden. Zudem sprach sich der CDU-Politiker dafür aus, die Vertreibungsgeschichte lebendig zu halten.
Kritik äußerte er an den Plänen Deutschlands und Polens. Die Mittel für den Härtefallfonds zur Aussiedler- und Spätaussiedlerrente und die Kulturförderung nach dem Bundesvertriebenengesetz sollen gekürzt werden. Polen will die Mittel für den Deutschunterricht für 50.000 Schulkinder der deutschen Minderheit in seinem Land empfindlich kürzen. Braun erinnerte daran, dass die Brücke von Russland zur Krim in den letzten Tage gebrannt hat. „Es ist wieder Krieg in Europa“, stellte er fest. Die einstige Hauptstadt Schlesiens, Breslau, habe eine 100-prozentige Vertreibung erfahren. Die dort angesiedelten Polen wurden ebenfalls aus anderen Gebieten vertrieben. Heute lebten 300.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in Breslau. Das mache deutlich, wie viel Leid es in dem aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine gebe. „Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen ist deshalb aktuell wie nie zuvor“, schloss Braun seinen Vortrag.
Der Vorsitzende des BdV-Ortsverbandes Wetzlar Kuno Kutz gab bekannt, dass sich angesichts der geringer werdenden Zahl der Erlebnisgeneration die beiden Kreisverbände Gießen und Wetzlar zusammengeschlossen haben. Trafen sich in der Vergangenheit zum Tag der Heimat noch viele hundert Menschen aus Schlesien, Ost- und Westpreußen, dem Sudetenland, Pommern und Böhmen, so fanden sich in diesem Jahr nur knapp 100 Personen in der Stadthalle ein. Michael Hundertmark (1. von links im Bild), Stellvertretender BdV-Kreisverbandsvorsitzender, begrüßte deshalb besonders herzlich den 17-jährigen Carsten Noah Ludwig (2. von links im Bild) als jüngstes Mitglied im Kreissverband. Unter den Teilnehmern konnte Hundertmark auch den hauptamtlichen Kreisbeigeordneten Stephan Aurand (SPD) sowie die Vorsitzende des VdK-Orts- und Kreisverbandes Wetzlar, Bärbel Keiner, Heike Ahrens-Dietz, Lisa Schäfer und Martin Dietz (alle Solms) begrüßen.
Die beiden anderen Herren sind schon bekannt (siehe oben).
Der Landtagsabgeordnete Frank Steinraths (CDU) (3. von rechts im Bild) erzählte, dass seine Großeltern aus Giersdorf in Niederschlesien geflohen sind. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen ist, seien Angehörige in heutige Polen gefahren. Dort wurden sie an ihrem ehemaligen Haus von den heutigen Bewohnern willkommen geheißen. Der FDP-Landtagsabgeordnete Matthias Büger sagte, er habe nicht gedacht, dass man in Europa nochmals Krieg erleben müsse. Als Ursache machte er eine gewisse Blauäugigkeit in den vergangenen Jahren aus. Die Opfererfahrung der deutschen Heimatvertriebenen helfen, den heutigen Flüchtlingen zur Seite zu stehen. Dies Haltung sei wichtig und deshalb auch der „Tag der Heimat“ aktueller denn je. Die bestärkte auch der SPD-Landtagsabgeordnete Stephan Grüger. „Ich bin hier, um ihnen als Verband und ihre Arbeit die Ehre zu erweisen. Brücken bauen, ist heute wichtiger denn je“, sagte Grüger.
Der Kreistagsvorsitzende Johannes Volkmann bedauerte, dass ein Viertel der Zivilbevölkerung in der Ukraine auf der Flucht sei. Ihre Rechte würden mit Füßen getreten. „Heimat ist ein Menschenrecht“, so Volkmann. Deshalb müsse man die Menschen in der Ukraine befähigen, ihre Heimat zu verteidigen. Volkmann sagte weiter: Bei mir wachsen Respekt und Anerkennung für die Leistungen der Heimatvertrieben angesichts des russischen Krieges in der Ukraine.
Bürgermeister Andreas Viertelhaus sagte, dass wieder Krieg in Europa ist und dieser so nahe heranrücke, habe er nicht gedacht. „Ukrainer flüchten zu uns und seit wenigen Tagen auch Menschen aus Russland“, benannte er einige Folgen. Die Stadt richte Wärmeinseln für den Winter ein. Die Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges seien Experten der Friedenspolitik und der Verständigung. Die Erfahrungen vor über 70 Jahren seien nun eine Blaupause, wenn die Flüchtlinge kommen. „Wenn jetzt neue Kriege entfacht werden, darf die Empathie nicht verloren gehen“, mahnte Viertelhausen. Es brauche Erinnerungs- und Kulturarbeit mit den europäischen Nachbarn sowie den Einsatz für Integration. In seinem Schlusswort wünschte Roland Jankofsky, Stellvertretender BdV-Kreisverbandsvorsitzender, dem Vorsitzenden Manfred Hüber gute Genesung.
Für Unterhaltung, Musik und Tanz sorgten die Bläsergruppe „Egerländer Maderln und Freunde“, die Gesanggruppe „Stimme der Hoffnung“ und der “Egerländer Vokstanzkreis“.
Inhaltspezifische Aktionen